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  • Aus nach 47 Jahren: Kraftwerk Voerde wird stillgelegt

    Eines der größten Steinkohle-Kraftwerke Deutschlands geht vom Netz // Mitarbeiter- Programm ‚Arbeit in Arbeit‘ erfolgreich // Rückbau wird mehrere Jahre beanspruchen

    Voerde. Nach 47 Jahren wurde am vergangenen Freitag einer der größten Steinkohle- Kraftwerksstandorte Deutschlands offiziell stillgelegt: der Standort Voerde am Niederrhein mit den Kraftwerken Voerde A/B (1.522 MW) und West 1/2 (712 MW). Die Schließung war ein harter Schritt für STEAG, der letzte Betriebstag eine traurige Schicht für die zuletzt noch rund 280 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Viele von ihnen haben mehr als 30 Jahre im Kraftwerk Voerde gearbeitet. Allerdings gibt es bei aller Betroffenheit auch eine gute Nachricht: Für die am Standort beschäftigten Mitarbeiter konnten gute Lösungen gefunden werden.

     

    „Gemeinsames Ziel von STEAG-Geschäftsführung, Betriebsräten und der zuständigen Gewerkschaft IG BCE war es, betriebsbedingte Kündigungen in die Arbeitslosigkeit zu vermeiden und die Menschen von ‚Arbeit in Arbeit‘ zu bringen“, sagte Alfred Geißler, Geschäftsführer Personal und Arbeitsdirektor der STEAG, bei einer gemeinsamen Abschiedsveranstaltung für die Mitarbeiter. „Das ist in enger und hervorragender Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat am Standort Voerde sowie enormen Anstrengungen im gesamten STEAG-Konzern gelungen. Mit dem Betriebsrat hier vor Ort als ersten Ansprechpartner für die Sorgen, Nöte und Ängste unserer Mitarbeiter haben wir im engen Schulterschluss für jeden Einzelnen zumutbare Lösungen gesucht und gefunden“, so Geißler weiter.

    Mehr als die Hälfte der Belegschaft konnte an Arbeitsplätze an anderen Standorten vermittelt werden. Dabei wurden auch höhere Fahrtzeiten zum neuen Arbeitsplatz und andere Tätigkeiten in Kauf genommen. So wird der bisherige Kraftwerksleiter, Thomas Wagener, die Altersnachfolge für den ausgeschiedenen Leiter des STEAG-Raffineriekraftwerks in Leuna antreten. Für jeden dritten Mitarbeiter wurden mit Vorruhestands- und anderen Altersabgangsregelungen ebenfalls sozialverträgliche Lösungen ermöglicht. Weitere zehn Prozent der Mitarbeiter verlassen das Unternehmen mit finanzieller Unterstützung und professioneller Unterstützung für die Vermittlung auf externe Arbeitsplätze.

    Allerdings werden nicht alle Mitarbeiter das Kraftwerk sofort verlassen. Ein Team von Kraftwerkern wird ab April die notwendigen Stilllegungsarbeiten durchführen: Die Anlage wird zunächst ‚trockengelegt‘, d.h. sämtliche betrieblich benötigten Flüssigkeiten werden abgelassen, aufgefangen und entsorgt. Dies geschieht in enger Begleitung durch die entsprechenden Behörden. Ebenso werden Läger entsorgt, und für einen verbleibenden Reststrombedarf am Standort muss Ersatz geschaffen werden. Diese Stilllegungsphase wird nach derzeitigen Planungen rund sechs Monate dauern.

    Sind die Betriebsmittel entsorgt und die Läger frei gemacht, beginnt die sogenannte ‚Planungsphase‘, in der wesentliche Vorplanungen für den Rückbau vorgenommen werden: Neben der Verkehrssicherung und dem Objektschutz sind dies Ausschreibungen für den Rückbau und Planungen zur Grundstücksvermarktung. Ein Restbetrieb sichert in dieser Zeit die Behandlung von Oberflächenwasser und die Sicherung der Außenanlagen. In dieser Zeit finden auch weitere Abstimmungen mit Behörden und Kommunen statt. In der daran anschließenden Rückbauphase wird der Rückbau der Anlagen vorgenommen. Dabei wird zu entscheiden sein, welche Teile der Anlage sich zum Recyclen eignen und welche Teile entsorgt werden müssen. Ziel des Rückbaues ist die Herstellung des Endzustandes inkl. aller Nachweise für die beteiligten Behörden.

    Historische und wirtschaftliche Daten des Kraftwerkstandorts Voerde Am Standort Voerde wurde 1970 / 71 das Kraftwerk mit zwei Blöcken (West I und West II) mit je 350 MW errichtet. 1982 folgte dann der Block A von Voerde (710 MW) und 1985 Voerde B ebenfalls mit 710 MW. Beide waren ausgestattet mit einer Rauchgasentschwefelungsanlage (REA). 1987 wurden auch in die Kraftwerksblöcke West entsprechend nachgerüstet. 1989 folgte dann der Einbau von Stickstoffoxidminderungsanlagen in beiden Kraftwerken. Im Dezember 2005 wurden im Kraftwerk Voerde die beiden REA teilerneuert. Damit wurde eine Leistungssteigerung um jeweils 51 MW erreicht. Das Kraftwerk Voerde verfügt über drei Kamine mit 230, 218 und 250 Metern Höhe. Bei Vollauslastung konnten am Standort Voerde rund 8,4 Mrd. Kilowattstunden (kWh) Strom pro Jahr erzeugt werden, genug für den Bedarf von 2,1 Mio. Einfamilienhaushalten. Aber nicht nur Strom wurde im Kraftwerk Voerde produziert: Kraftwerksnebenprodukte wie Flugasche, Kesselsand, Schmelzkammergranulat und REA-Gips fanden Abnehmer in der Baustoffindustrie, wodurch natürliche Ressourcen geschont wurden.

     

    Vor Baubeginn Ende der 60er-Jahre gab es vereinzelt Sorgen in der Region, wonach das Kraftwerk den Anwohnern in einem Umkreis von rund 25 Kilometern die Luft zum Atmen rauben würde. Diese Sorgen erwiesen sich jedoch als unbegründet. Im Gegenteil, das Kraftwerk wurde von der Bevölkerung gut angenommen. Zum ‚Tag der offenen Tür‘ anlässlich der Inbetriebnahme des Kraftwerksblocks Voerde A kamen allein 12.000 Besucher. Das Kraftwerk arbeitete bis zuletzt effizient und umweltfreundlich, da wesentliche Neuerungen in der Umwelttechnik häufig bereits deutlich vor Änderung der Gesetzeslage eingeführt wurden. Im derzeit laufenden Sevilla-Prozess zur Erstellung der BVT-Standards (Best verfügbare Technik) ist das Kraftwerk Voerde sogar ein europäisches Referenzkraftwerk.

    Seit der Inbetriebnahme des ersten Kraftwerkblockes im Jahr 1970 hat der Kraftwerksstandort insgesamt 366.426.982 MWh (366 Terrawatt-Stunden) Strom erzeugt. Mit dieser Strommenge könnte man ganz Deutschland ein halbes Jahr oder die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt Düsseldorf rund 300 Jahre lang mit Strom versorgen.

    In der Hochphase der 1980er und 1990er-Jahre beschäftigte STEAG im Kraftwerk rund 550 Mitarbeiter. Zu den großen regelmäßigen Revisionen arbeiteten noch einmal bis zu 600 Mitarbeiter von externen Dienstleistern auf dem Gelände. Auch sie trugen zur Wirtschaftskraft von Voerde bei, denn sie wohnten und kauften während der häufig wochenlangen Revisionszeiten ihre Dinge des täglichen Bedarfs in den Geschäften der in der Region rund um das Kraftwerk ein. So konnten in den vergangenen Jahren zuletzt rund 280 Kraftwerksmitarbeitern mit ihren Familien sowie zahlreiche Gewerbebetriebe, die zum Großteil vom Niederrhein kommen, vom Kraftwerk profitieren, ebenso die Stadt Voerde mit ihren rund 37.400 Einwohnern und die Gemeinde Dinslaken.